Wirtschaften und Dienen als Sinn der Arbeit

Wirtschaften und Dienen als Sinn der Arbeit

Arbeit als Wirtschaften ist eine Notwendigkeit des Menschen, denn der Mensch braucht Nahrung. Alles andere wie Kleidung, Pfeil und Bogen, ein Dach über dem Kopf oder ein Mobiltelefon ist eine Frage der Moral – also der Gewohnheit und des Brauchtums. Keine Notwendigkeit, sondern Luxus oder Nützlichkeit. Diese Minimalforderung hat allen Kulturen für Millionen von Jahren genügt, und kann deshalb als allgemeine Bestimmung des Menschen als wirtschaftendes Wesen angesehen werden.
Die engere Bestimmung des Wirtschaftens beginnt mit dem Erzeugen von Lebensmitteln, Werkzeugen und Gebrauchsgütern – sowie deren Verteilung und Konsumption. Sie beginnt mit der Sesshaftwerdung und dem Hausbau.

Trotz der Banalität ist der Sachverhalt komplexer. Ernährung hat erstaunlicherweise von Anbeginn an mit Erkenntnis zu tun, wie bereits Einzeller zeigen. Wenn eine Amöbe eine andere Amöbe verfolgt, um sie sich einzuverleiben, setzt das voraus, dass sie sich erkennen und von anderen Einzellern unterscheiden kann. Ein enormes Vermögen für einzellige Lebewesen, Unterscheidungen treffen und erkennen zu können.

Insofern bedeuten Leben und Wirtschaften dasselbe, denn solange der Mensch lebt, befinden sich das Einnehmen, Verdauen und Ausscheiden von Nahrung in einer dynamischen Balance. Daher bilden sie so etwas wie ein geordnetes Haus mit Ein- und Ausfuhr, denn Ökonomie leitet sich vom griechischen Oikos her und bedeutet Haus und Haushalten und ist das Wort für Wirtschaft und Ökonomie. Daher sind alle Begriffe, die mit Wirtschaft und Ökonomie, mit Organisation, Ökologie und Unternehmen zu tun haben, zentrale Begriffe des gesellschaftlichen Lebens.

Als Produktion von Lebensmitteln ist Wirtschaften eine Kulturleistung. Das Ungewöhnliche dieser Leistung besteht darin, dass der Mensch die Form seines Wirtschaftens selbst bestimmen kann und muss.

Als wirtschaftendes Wesen ist der Mensch ganz unterschiedlichen Balancierungsvorgängen ausgesetzt. Er muss Pflanzen sammeln und Tiere jagen, um sich zu ernähren. Die erste Notwendigkeit seines Daseins. Er braucht eine geografische Balance: Er muss Ort, Klima und Nahrungsdichte kennen. Drittens braucht er eine soziale Balance: Er lebt in einer menschlichen Gemeinschaft und muss sich um die Kommunikation mit anderen bemühen. Er braucht eine kosmische Balance: Er muss mit den kosmischen Mächten ein Abkommen schließen und muss für Dank, Opfer und Dienst bereit sein. Nicht zuletzt braucht er eine kulturelle Balance, weshalb er bemüht ist, Leib, Geist und Verhalten aufeinander abzustimmen. Das ist der fünffache Balance-Akt allen Wirtschaftens.

Dienen ist eine Notwendigkeit menschlicher Existenz.

Eine Banalität, denn der Mensch muss aufgezogen werden. Eine Minimalforderung allen Lebens. Das gilt für alle Lebewesen: Sie werden von anderen Lebewesen hervorgebracht. Jede Geburt wird vorbereitet, damit Nachkommen einen guten Start ins Leben haben. Es wird ein schützendes Nest, ein Kokon oder ein Bau eingerichtet und Nahrung bereitgestellt. Daher sind Schutz und Pflege grundlegende Verhaltensweisen und das Dienen eine ebenso elementare Basis des Lebens wie das Wirtschaften.
Sorge und Pflege sind der Dienst an den Nachkommen, um ihr Leben hervorzubringen und ihr Überleben zu sichern. Insofern ist jedes Leben eng an unterschiedliche Dienste gebunden. Zwischen den Lebewesen einer Art gibt es vielfältige Weisen des Dienens – wie in der Brutpflege, beim Schutz in Gefahrensituationen, bei Verletzung, Krankheit und bei der Unterweisung angemessenen Verhaltens.

Der Mensch ist am längsten von allen Lebewesen auf elterlichen Dienst angewiesen, woraus eine besondere Art der Vergesellschaftung entsteht, die das Verhältnis von Dienen und Wirtschaften bestimmt. Der mythische Mensch glaubt, er müsse für das, was er von der Natur erhält, etwas zurückgeben: eine Gegengabe oder ein Opfer, das hergeleitet aus dem lateinischen Wort operari dienen heißt – in der Regel einem Gott dienen. Die Besonderheit bei den Menschen bezieht sich auf die Weise, wie sie die Beziehung zum anderen gestalten. Wie sie gemeinsam leben und in welchem Verhältnis sie zur Natur und ihren Mächten und Möglichkeiten stehen.

Dienen bedeutet zweierlei. Einmal das Mittel, um ein Ziel zu erreichen oder ein Mittel zum Zweck, zum anderen eine wesentliche Art des Menschen, mit anderen in der Welt zu sein. Insofern der Mensch ist, ist er mindestens zwei – Diener für ein Du.

Das Wort Dienen ist in vielen Wörtern enthalten, was auf seine große Bedeutung für die menschliche Kultur hinweist. Meist verborgen ist Dienen in dem Hilfswort für enthalten: Sorge als Fürsorge bedeutet dienen ebenso die Sorge für jemanden. Familie, abgeleitet vom lateinischen Wort famulari, heißt dienen; Pflege als Fürsorge; Pflicht als Einstehen für etwas oder jemanden; Geschenk als Einschenken oder zu trinken geben; Opfer von operari, den Göttern einen Dienst erweisen; Servieren als Dienst, wie es in Sklave (servus) vorkommt; Demut als dienstwillig (dio-muoti), wie es in Gefolgsmann mitgedacht wird; Beraten als Rat, für jemanden Vorsorge treffen, oder als sich geistig etwas zurechtlegen. Diese Bezüge verweisen zugleich auf ein entscheidendes Merkmal des Dienens – seine Sozialität und seine meist nichtproduzierende Tätigkeit.

Arbeit ist die Realisierung des Wirtschaftens und Dienens.

In der Geschichte der Menschheit und der Entwicklung der Kulturen ändern sich die Formen der menschlichen Arbeit. Der Mensch kennt drei grundlegende Formen der Arbeit: Er nimmt, was er verzehren möchte, durch Pflücken oder Ausreißen der Natur, er stellt selbst her, was er verzehren möchte, und er denkt über neue Wege der Nahrungsbeschaffung nach.

Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte der Wandlung der Arbeit: des Wirtschaftens und des Dienens.

Unaufhörlich verändert der Mensch die Formen und die Inhalte seiner Arbeit. Erst das einfache Sammeln und Verspeisen dessen, was da ist. Dann erzeugt er selbst seine Lebensmittel. Gleichzeitig beginnt er, Werkzeuge und Güter des Alltags herzustellen, Äcker zu bestellen und das Haus und die Tiergehege zu pflegen. Mit der Spezialisierung des Handwerks in Berufe entsteht der typische Ort für das Handwerk: die Stadt. Von ihr aus breiten sich Handel und Handwerk über weite Regionen aus. Erst viele tausend Jahre, wenn sie Handwerk, Können und Wissen verfeinert haben, macht sich der Mensch teilweise frei von der Handarbeit und erfindet die Maschine. Die Arbeit geht deshalb den Menschen nicht aus, sondern sie ändert ihre Form. Zugleich entstehen neue Berufe. Allerdings geht die Handarbeit Schritt für Schritt zurück, da nun Maschinen, später Roboter und Medien handgreiflich werden.

Da in modernen Gesellschaften immer mehr maschinell hergestellt wird, geht die produktive Arbeit für den Menschen zurück. Was geblieben ist, sind Büroarbeit, Dienstleistung und Spezialberufe. Andererseits sind viele Tätigkeitsbereiche unterbesetzt oder werden durch ehrenamtliche Helfer ausgeführt. Dass es nicht gelingt, allen Menschen Arbeit zu geben, zeigt auch, dass Arbeit neu definiert werden muss. Neue Arbeitswelten sind bereits da, werden aber noch nicht erkannt oder als Arbeit anerkannt. Es betrifft Dienstleistungen aller Art: Pflegearbeiten, Forschung, Entwicklung und andere Spezialtätigkeiten. Ehrenamtlich arbeitende Menschen erhalten keinen Lohn, und doch verrichten sie Arbeit und die dienstleistenden und pflegenden Berufe bedürfen einer größeren sozialen Anerkennung.

Wer keine Arbeit hat, wird jedoch nicht fallen gelassen. Er hat meist in die Sicherungssysteme eingezahlt, die ihn nun stützen. Auch denjenigen, die nie etwas eingezahlt haben, wird eine Grundversorgung garantiert. Das relativiert den Kampf ums Überleben, auch wenn sich die Vergütung für bestimmte Berufsgruppen am Existenzminimum orientiert.
Der Aufwand zur Erfassung und Verteilung der Arbeit etwa durch die Bundesagentur für Arbeit ist enorm. Deshalb wird immer wieder der Vorschlag gemacht, jedem Menschen ohne Wenn und Aber einen monatlichen Grundbetrag zu geben. Einen Betrag, der nicht nur die Höhe eines Existenzminimums hat, sondern Möglichkeiten bietet, Hobbys und Interessen zu entwickeln oder nachzugehen, oder sich weiterzubilden. Das ist begrüßenswert. Einerseits. Doch ist die Idee ambivalent, denn angesichts des gegenwärtigen Konsumierens könnte es sein, dass die Menschen nicht, wie durch einen Grundbetrag erwartet, zu einem sinnvollen Leben angeregt werden, sondern lediglich den Rausch des Konsumierens ungebrochen fortsetzen.

Die Jüngeren können sich eher als Ältere damit abfinden, dass Arbeit nicht alles im Leben ist. Allerdings bedarf der Mensch dazu wohl einer alternativen Lebensform, die Sinn gibt. Aufgabe und Sinn in einer Welt, in der es für viele die produktive Arbeit als Herstellung von Gütern nicht mehr gibt. Der monetäre Gewinn muss durch einen inneren Gewinn ersetzt werden – durch eine neue Art Berufung: Selbstverwirklichung, Anerkennung, das Erforschen der eigenen Talente.

Da das Denken und Danken, das wirtschaftliche und das dienende Handeln im Verhalten und in ihren regelmäßigen Ritualen und Dankesfesten zum Ausdruck kommen, sind sie Teil der Moral einer Gemeinschaft, denn Moral heißt Sitte und Brauch und bezeichnet nicht mehr als das, was die Menschen einer Gemeinschaft in ihrem Alltag tun. Daher sind Wirtschaften und Dienen über die Moral eng miteinander verbunden.
Die schwierige Aufgabe des heutigen Menschen ist es, Wirtschaften und Dienen zu einer sinnvollen Arbeit zu gestalten, etwa indem Moral und Sozialität, Vision und Zukunftsplanung zum Zweck einer global friedfertigen Welt eng zusammengeführt werden.

Dieser Artikel versteht sich als Anregung für eine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der aktuellen Arbeitswelt, ich freue mich auf Reaktionen und weitere Beiträge, herzlichen Dank!