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Soziale Ansteckung: Wann verbreiten wir fremde Meinungen weiter?

Studie des Max Planck Institutes für Bildungsforschung zeigt, dass die Distanz zur Quelle eine große Rolle spielt.

Jeder tut es, ob on- oder offline: Wir verbreiten unsere persönlichen Urteile in unseren sozialen Netzwerken. Doch wovon hängt es ab, dass Menschen die Meinungen anderer übernehmen und in Sozialen Medien teilen? Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Charité – Universitätsmedizin Berlin könnte Aufschluss geben.

Ob wir jemandem glauben, seine Urteile übernehmen und weiterverbreiten, hängt von vielen sozialen Faktoren ab. So steigt die Wahrscheinlichkeit, wenn wir eine Meinung aus unterschiedlichen Quellen hören oder auch, wenn wir Menschen mögen, weil sie uns ähnlich sind. Doch was sorgt darüber hinaus dafür, dass sich einige Meinungen und Urteile schneller und weiter verbreiten als andere? Dies untersuchten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Charité – Universitätsmedizin Berlin in einer aktuellen Studie. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (USA) erschienen.

Die Wissenschaftler untersuchten, unter welchen Umständen sich Urteile von einer Person zur anderen verbreiten, wie sich der wiederholte Austausch untereinander auf den sozialen Einfluss auswirkt und wie weit ein persönliches Urteil in einer Kommunikationskette weitergegeben werden kann. Dafür entwickelten sie zwei einfache Experimente, an denen insgesamt 100 Probanden teilnahmen, die sich zuvor nicht kannten. In beiden Experimenten bekamen die Probanden die gleiche visuelle Wahrnehmungsaufgabe, die sie jeweils in 15 Durchläufen absolvierten. Dabei mussten sie in Interaktion mit einem zufällig zugeordneten Partner beurteilen, in welche Richtung sich die Mehrzahl von 50 Punkten auf einem Computerbildschirm bewegte. Alle Probanden saßen dabei vor einem eigenen Bildschirm.

In jeder Runde mussten beide Partner – im ersten Experiment A und B genannt – ein Urteil abgeben. B bekam jedoch die Möglichkeit, sein Urteil nach der eigenen Abgabe mit dem Urteil von A abzugleichen und sein Urteil noch einmal zu ändern. Zudem konnte B in jeder Runde sehen, ob A bei den Aufgaben besser oder schlechter als er selbst abschnitt. Dabei beeinflussten die Wissenschaftler das Leistungsniveau, indem sie verschiedene Schwierigkeitslevel einbauten. Die Paare suchten somit zwar immer nach dem gleichen Ergebnis, jedoch unter unterschiedlich schwierigen Bedingungen. „In einer experimentellen Bedingung haben wir den jeweils Ersten in der Kette zum besseren Beurteiler gemacht, um zu sehen, wie es sich auswirkt, wenn B über mehrere Runden beobachten kann, dass das Urteil von A konstant besser ist als sein eigenes“, sagt Erstautor der Studie Mehdi Moussaïd, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

In allen Runden wurde der Einfluss von A auf das Urteil von B gemessen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einfluss einer Person auf eine andere umso mehr zunimmt, je besser sich beide kennenlernen. „Zu Beginn tendierten die Probanden dazu, das Urteil ihres Partners zu ignorieren, während sie nach mehrfacher Interaktion stark davon beeinflusst waren“, sagt Mehdi Moussaïd. Das passierte jedoch nur, wenn der Urteilssender bei den gestellten Aufgaben auch durchweg besser abschnitt als der Empfänger. Es zeigte sich jedoch auch, dass die Probanden die Irrtümer der anderen Person als schwerwiegender bewerteten als ihre eigenen.

Im zweiten Experimentaufbau untersuchten die Wissenschaftler die Dynamiken hinter der Urteilsweitergabe über mehrere Personen hinweg. Der Testablauf war der gleiche wie im ersten Experiment, jedoch mit einer Kommunikationskette bestehend aus sechs Probanden, die jeweils wieder mehrfach mit ihrem Vordermann agierten. Zudem war die erste Person in der Kette immer im Vorteil, da sie die Aufgaben mit dem leichtesten Schwierigkeitslevel bekam. Die Wissenschaftler konnten somit beobachten, wie weit sich das Urteil in der Kette weiterverbreitete. Es zeigte sich, dass das Urteil von A nicht nur B beeinflusste, sondern auch C und D, die keinen direkten Kontakt zu A hatten. Allerdings nahm der Einfluss mit der Distanz zur Urteilsquelle ab und war nach mehr als drei Personen in der Kette nicht mehr messbar.

„In einer anschließenden Simulation mit den Ergebnissen konnten wir zeigen, dass der schwindende Einfluss über die soziale Distanz hinweg mit der Überbewertung der Fehler anderer sowie mit einer Informationsverzerrung bei der Weitergabe zusammenhängt. Beides führte zu zeitlichen Verzögerungen und letztlich zum Einflussverlust. Nichtdestotrotz ist es bemerkenswert, dass Menschen nicht nur auf die Urteile ihrer Freunde einen großen Einfluss haben können, sondern auch auf die Meinung von deren Freunden und den Freunden dieser Freunde“, sagt Mehdi Moussaïd. „Unsere Ergebnisse tragen zum allgemeinen Verständnis von sozialen Verbreitungsprozessen bei. Wir konnten zeigen, dass sich Urteile zwischen direkten Kontakten verbreiten können, ähnlich wie infektiöse Krankheiten.“